Studierende zu fördern ist eine erfüllende Aufgabe

Die ETH Zürich zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Paolo Ermanni. Zunächst studierte er hier Maschinenbau, kehrte dann 1998 als Professor zurück. Im Interview blickt er auf 26 ereignisreiche Jahre in der Lehre und der Forschung zurück.

von Inken De Wit

Die Entwicklung neuer Komposit-Materialien für Flugzeuge zieht sich als Thema durch Ihre gesamte Forschung - von Ihrer Doktorarbeit im Jahr 1990 bis hin zu Ihrem aktuellen Fokus-Projekt NOCTUA. Was daran fasziniert Sie?

Die Möglichkeit, Leistung und Effizienz von technischen Systemen durch den Einsatz innovativer Werkstoffe und Strukturen zu verbessern! Dies ist besonders wichtig in der Luft- und Raumfahrt, die mich seit meiner Kindheit fasziniert. Aber nicht nur! Zum Beispiel haben uns Strukturkonzepte aus der Raumfahrt inspiriert, besonders anpassungsfähige und langlebige Herzklappen zu entwickeln. Generell ist das Potenzial von Leichtbautechnologien zur Schonung der natürlichen Ressourcen und des Energieverbrauchs technischer Systeme - egal ob Flugzeuge, Autos oder Züge -noch nicht ausgeschöpft. Der Forschungsbedarf ist dementsprechend gross.  

Paolo Ermanni vor einem Gemälde in seinem Büro. (Bild: D-MAVT/Ramona Tollardo)
Paolo Ermanni (Bild: D-MAVT/Ramona Tollardo)

Sie waren 26 Jahre Professor am D-MAVT und zuvor Maschinenbaustudent an der ETH Zürich. Hat Ihnen Ihre eigene Erfahrung als Student bei der Gestaltung der Lehre geholfen?

Das grosse Engagement der Dozierenden und der hohe Stellenwert der Lehre sind für mich tatsächlich eine bleibende Konstante. Dieser Einsatz und diese Herangehensweise waren auch mir bei meiner eigenen Tätigkeit an der ETH Zürich immer wichtig.

Wir haben ein umfangreiches Lehrangebot im Bereich Leichtbau, Strukturmechanik und Strukturtechnologien aufgebaut und dabei eine Brücke zwischen Lehre, Forschung und Zusammenarbeit mit der Industrie geschlagen. Wir haben weit über 1000 Studienarbeiten – von Semester-, über Bachelor- bis hin zu Master-Arbeiten - am Lehrstuhl begleitet. Die Kreativität der Studierenden, ihr Fleiss und ihr Enthusiasmus waren und sind die treibende Kraft für unsere Forschung und haben es ermöglicht, erstaunliche Konzepte und innovative Strukturen zu erproben und umzusetzen. Im Laufe der Jahre hat unser Labor unter anderem auch grosse studentische Initiativen wie den Akademischen Motorsportverein Zürich (AMZ) und die Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz (ARIS) tatkräftig unterstützt und mehrere Fokus-Projekte im Bereich Luft- und Raumfahrt initiiert und durchgeführt.

Was waren die grössten Herausforderungen bei der Begleitung von Studierenden und Doktorierenden? Und was die grössten Erfolge?

Herausfordernd war das schnelle Wachstum unserer Forschungsgruppe. Wir haben an vielen Forschungs- und Industrieprojekten gleichzeitig gearbeitet. Ich hatte dadurch zeitweise gleichzeitig mehr als 20 Doktorierende und bis zu 30 Studierende, die am Lehrstuhl ihre Studienarbeit durchgeführt haben.

Top-Studierende zu fördern ist eine erfüllende Aufgabe. Sie fordern einen aber auch! Es war nicht immer einfach, den hohen Erwartungen und dieser geballten intellektuellen Energie und Dynamik gerecht zu werden.

Im Nachhinein würde ich daher heute vielleicht manches anders machen. Aber ich denke, dass wir im Team insgesamt gute Arbeit geleistet haben und es uns über die Jahre gelungen ist, einen konsistenten und fokussierten Pfad in Lehre und Forschung zu verfolgen. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass mehrere Studierende und Doktorierende für ihre Arbeiten mit einer ETH-Medaille ausgezeichnet wurden. Viele ehemalige Doktorierende und Postdocs haben eine erfolgreiche Universitätskarriere hingelegt. Andere haben Start-ups gegründet oder verantwortungsvolle Positionen in der Industrie oder bei einer Unternehmensberatung übernommen.

Sieben Jahre lang waren Sie Prorektor für Weiterbildung. Warum ist Weiterbildung wichtig?

Es war mir in der Tat eine Ehre, von 2015 bis 2022 Prorektor für Weiterbildung zu sein! In dieser Zeit wurden viele strategische Elemente der Weiterbildung umgesetzt, darunter die Gründung der School for Continuing Education. Der Bereich Weiterbildung ist ein wichtiger Bestandteil der Beziehungspflege zwischen der ETH Zürich und ihren Stakeholdern. Das breite Weiterbildungsangebot baut auf der herausragenden Forschungskompetenz der ETH auf und vermittelt sofort verwertbares Wissen und Know-how für die Teilnehmenden – und damit im weitesten Sinn auch für die Unternehmen und die Gesellschaft.

Nach Ihrem Doktorat waren Sie zunächst bei der Flugzeugsparte von Daimler Chrysler und als Berater bei einer Consulting-Firma. 1998 kamen Sie als ausserordentlicher Professor an die ETH. Was hat Sie zurückgezogen?

Nach meiner Promotion im Jahr 1990 habe ich nicht an eine akademische Laufbahn gedacht. Ganz im Gegenteil. Mein Plan war es, mein Wissen und meine Erfahrungen aus der Forschung mit einer Karriere in der Industrie zu verbinden. Nach dem Studium und der Promotion an der ETH hatte ich den perfekten Rucksack dafür und mehrere Optionen auf dem Tisch. Eine Stelle als Fachverantwortlicher in der Vorentwicklung bei Airbus in Hamburg erschien mir damals als eine ausgezeichnete Möglichkeit, mein Know-how in einem industriellen Umfeld anzuwenden. Der Wechsel zur Unternehmensberatung Kearney in Mailand einige Jahre später war für mich der nächste logische Schritt. Ich war nun in der privilegierten Lage, strategische Entscheidungsprozesse in grossen Unternehmen kennenzulernen und mitzugestalten.

Im August 1997 erhielt ich dann einen Anruf aus Zürich. Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, mich an der ETH für eine ausgeschriebene Professur vorzustellen. Von diesem Moment an ging alles sehr schnell, und ich habe meine Entscheidung, als Professor an die ETH zurückzukehren, keine Sekunde bereut.

Welcher Moment aus Ihrer Zeit als Professor am D-MAVT wird Ihnen für immer in Erinnerung bleiben?

Da gibt es so viele Momente! Wenn ich eine kleine Auswahl treffen muss, dann gehört dazu sicher das Gefühl der Zugehörigkeit nach meiner Einführungsvorlesung im Jahr 1999. Oder die Freude über den Gewinn des Ruderwettbewerbs im Jahr 2004 mit dem Poly-Achter gegen acht deutsche technische Universitäten auf dem Olympiasee in München – und die unzähligen Morgenausflüge und zahlreichen Uni-Poly-Teilnahmen auf der Limmat. Oder der Stolz nach dem Erstflug unseres Demonstrationsflugzeugs mit formadaptivem Flügel an einem sonnigen Tag im Dezember 2014. Dies war der Höhepunkt eines langjährigen interdisziplinären ETH-Forschungsprojekts von vier Lehrstühlen und vier Doktorierenden. Erinnern werde ich aber auch das Glück und die Entspannung bei den zahlreichen Skiwochenenden mit meiner Forschungsgruppe in der Schweiz und Österreich.

Insgesamt bleibt ein Gefühl der Dankbarkeit und der Erfüllung, wenn ich auf meine 26 Jahre an der ETH zurückblicke.

Was werden Sie nach Ihrer Emeritierung am meisten vermissen?

Die souveräne Gelassenheit dieser fantastischen Institution! Das kreative Umfeld, die positive Stimmung, die vielen Projekte und den Austausch mit Kollegen, Studierenden und Doktorierenden. Kurz gesagt: Alles!

Was sind Ihre nächsten Pläne?

In den vergangenen 25 Jahren sind aus meinem Lehrstuhl sechs Start-ups hervorgegangen. Das Jüngste ist die Firma externe SeiteAntefil Composite Tech, die im Jahr 2022 zusammen mit zwei Doktoranden gegründet wurde. Der ETH Spark Award 2021 für die Entwicklung eines neuartigen Verfahrens zur Herstellung von nachhaltigen Verbundwerkstoffen war der Startschuss für dieses Unternehmen. Seitdem sind wir ein gutes Stück vorangekommen und haben grosse Pläne für die Zukunft. Ab August werde ich zu 100% als CTO bei Antefil arbeiten.

Was darf auch in Zukunft nicht auf Ihrem Schreibtisch fehlen?

Gute Lautsprecher für klassische Musik, die NZZ als e-Paper, eine gute Tasse Tee und dann natürlich auch neue, spannende Projekte.

Abschiedsvorlesung

«Lightness!»

Dienstag, 14. Mai 2024, 17.15 Uhr

Audi Max (HG F 30), ETH Zentrum

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Zur Person

Prof. Dr. Paolo Ermanni (64)

Professor für Verbundwerkstoffe und Adaptive Strukturen

Labor für Verbundwerkstoffe und Adaptive Strukturen

Am D-MAVT von 1998-2024
 

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